EXPO – eine Messe oder mehr? … Verwandtschaften

Ein Gastbeitrag von Dr. Thomas Schriefers.

Die im vergangenen Jahr mit 24 Millionen Besuchern so erfolgreich verlaufene EXPO Milano fordert dazu auf, nachzufragen, warum die Weltausstellung so viele Menschen anzog, obwohl immer wieder gesagt wird, das Expo-Konzept habe sich überlebt, doch die nächste Expo wird schon in einem Jahr eröffnet, die kleine Weltausstellung in Astana/Kasachstan. Möglicherweise lag der Erfolg in Milano an der ausgewiesen freundlichen Atmosphäre? Sicher an einer vielfältig einladenden Ausstellungswelt, in der die unterschiedlichsten Geschichten erzählt wurden, wodurch sich unsere sehr komplexe „Welt“ im Global-Expo-Village ein Stück weit erschloss. Dabei blieben die Präsentationen nicht im formal-ästhetischen Rahmen, sondern zeigten sich kommunikativ, lebendig, reich an Bildern und bemüht, Brücken zu schlagen, mit dem erklärten Ziel der ausstellenden Nationen, das Publikum für ihr Land, seine Traditionen und Konzepte einzunehmen.

EXPO 2015: Decumanus – Viele Menschen und doch viel Platz / © Thomas SchriefersDie Rede ist von Nation-Branding, welches der Kompetenz- und Sympathiewerbung, der Identitätsstiftung und dem zwischenstaatlichen Wettbewerb auf hohem Niveau dient. Im übertragenen Sinne geschieht dort das, was im Messewesen stattfindet, wenngleich die auf einer Expo miteinander konkurrierenden „Marken“ eher die einer nationalen Selbstwahrnehmung sind.

Fotos: Nationen-Branding auf der EXPO MILANO 2015: Im Global-Expo-Village werben die Länder für sich, für ihr Wissen, ihre Technologie- und Innovationsstärke.

Obwohl auch auf der EXPO nationale Markenprodukte angeboten werden, ist sie primär keine Verkaufs-, Order- bzw. Handelsausstellung. Darin unterscheidet sie sich ganz wesentlich von internationalen Messen, die als Marktplätze dem Austausch von Kontakten zum Zwecke des Handels und der Konsumentenbewerbung dienen. Damit verbindet sich bei Messeveranstaltungen aus betriebswirtschaftlicher Sicht die Notwendigkeit zur Effizienz. In Zeiten, in denen Effizienz zunehmend als Gradmesser für Fortschrittsfähigkeit gilt, müsste auf den ersten Blick eine Expo wohl tatsächlich als nicht zukunfts-trächtig gelten. Doch neben der oben angeführten weltgesellschaftlichen Relevanz ermöglicht eine Expo weitsichtigen Veranstaltern, einen immensen infrastrukturellen Gewinn zu erzielen. Das zeigt Lissabon, wo es 1998 gelang, mit der Weltausstellung eine schwer belastete Industriebrache in einen attraktiven Stadtbezirk zu verwandeln. Nachhaltigkeit, die ebenso zur Expo-Geschichte gehört wie vertane Chancen.

Fotos: Nachhaltigkeit gehört ebenso zur Expo-Geschichte wie vertane Chancen.

Da eine Expo-Stadt errichtet wird, um nach einen festgelegten Zeitraum wieder demontiert zu werden, ist sie im höchsten Maße baulich flüchtig. Die Orte wechseln, Bauten werden stets neu konzipiert, was dazu führt, dass sich Expo immer wieder neu erfindet. Die Kontinuität vertrauter Messehallen ist dem Expo-Veranstalter fremd. Dagegen pflegt eine Messegesellschaft ihre Standorte, die sich auf dem eigenen Grund natürlich auch stets weiterentwickeln. Zudem hat die Expansion großer Messegesellschaften weltweit dazu beigetragen, dass sie längst weltweit Veranstaltungen durchführen – weltweite Projekte, folgt man dem Gedanken der Expo Hannover 2000.

Klar definierte Themen bestimmen Weltausstellungen, die zunehmend nach Antworten auf die drängenden Fragen der Welt suchen. Etwa in Mailand, wo man der Veranstaltung das Motto gab: «Feeding the Planet. Energy for Life»? Wohl wissend, dass eine befriedigende Beantwortung wohl ausbleiben musste.

Fotos: Das Motto einer Weltausstellung orientiert sich an globalen Fragen, etwa  «Feeding the Planet. Energy for Life»? in Mailand.

Auch der Veranstalter einer Messe, insbesondere einer internationalen Messe, wählt Themenschwerpunkte, insbesondere dann, wenn Publikumsbesuch vorgesehen ist. Zum Beispiel werden Partnerländer in den Fokus gerückt, etwa im Rahmen der Internationalen Buchmesse in Frankfurt, wo mit der Schwerpunktbildung jeweils spezielle Themen erörtert werden: ein bilateraler Brückenschlag, der jeder Messe besondere Nyancen gibt. Neben Sonderausstellungsflächen werden bei Messen immer wieder auch Förderbereiche ausgewiesen, etwa auf der Internationalen Kunstmesse in Köln, wo sich junge Galerien präsentieren. Entsprechende Aktivitäten sind dann auch Teil des Marketings, mit dem sich eine Messe der Öffentlichkeit wirkungsvoll  präsentiert. Meist aber beschränkt auf das eigene Messegelände, während die Expo sich stets ausdehnt – Veranstaltungen in die Stadt verlegt oder, wie Hannover 2000 zeigte, sich sogar weltweit vernetzte, um selbst an entlegensten Stellen ein Stück Expo stattfinden zu lassen.

Fotos: Auch Messen wählen Themenschwerpunkte – etwa das Gastlandkonzept – und öffnen sich für die Region und ein größeres Publikum.

Natürlich spielt eine Rolle, an wen sich die Veranstaltung wendet. Am ehesten lassen sich hier natürlich Publikumsmessen mit einer Expo vergleichen, weshalb sich gerade dann die Messe stärker öffnet, um in der Öffentlichkeit für einen Besuch zu werben.

Werbung und insbesondere der Wettbewerb verbindet beide Ausstellungssphären. Dabei unterscheiden sich weniger die Argumente als die beworbenen „Produkte“. Denn während auf Messen durchweg handelbare Gegenstände, Waren und Leistungen verschiedener Unternehmen gleichzeitig um die Gunst der Messebesucher werben, treten auf Weltausstellungen Strategien, Konzepte und nicht zuletzt Weltanschauungsmodelle (auf der Fachmesse = Unternehmensphilosophie) gegeneinander an. Eine Expo könnte man daher auch als Rangierbahnhof für die Ideen der dort versammelten Welt bezeichnen – also als Ort der Ideenbewerbung. Weniger fassbar als der Wettbewerb konkreter Produkte, die in Messehallen zum kritischen Vergleich auffordern, doch ebenso anstrengend für den Besucher, der sich hier wie dort müht, im Pulk zahlloser Menschen möglichst viel in kurzer Zeit zu sehen.

So ähneln sich die Probleme, etwa in Hinblick auf die Verarbeitung sich auf engem und engstem Raum gegenseitig übertönender Botschaften, die dem Rezipienten abverlangen, sich diszipliniert auf das zu konzentrieren, was ihn interessiert. Mit der Konsequenz, dass sowohl der Messe- als auch Expo-Besuch dazu beitragen kann, die eigenen Grenzen der Aufnahmefähigkeit auszutesten.

Fotos: Die EXPO in Mailand hat gezeigt, wie wichtig auf einer publikumsstarken Veranstaltung Besucherservices, Orientierungshilfen und Erholungsareale sind; das Publikum soll sich wohlfühlen.

Insofern entscheidet ganz wesentlich über den Erfolg einer Veranstaltung – ob Messe oder Expo – dass gute Orientierungshilfen gegeben werden, Orte der Ruhe dazu einladen, durchzuatmen und die bauliche Struktur der Ausstellungs- bzw. Messestand-Stadt erlaubt, die angebotenen Ideen, Waren und Produkte tatsächlich zu vergleichen.

Neben der Analyse der Gestalt und Gliederung von Ausstellungsbeiträgen erlaubt der Blick auf die Expo in Mailand 2015, im internationalen Vergleich Grundsätzliches über die Tragfähigkeit von Ausstellungskonzeptionen (z.B. in Hinblick auf ein Generalthema, Besucherführung …), Ausstattung, Ausstellungstechnik, die Darstellung von Sachgebieten und die Vermittlung von Informationen zu erfahren. Denn die Mechanismen sind vergleichbar, insofern auch die Veranstaltungen verwandt und bestens geeignet, auszuloten, welche Gestaltungsstrategien geeignet sind, das Publikum nachhaltig zu erreichen.  – Thomas Schriefers, April/2016

 

Über den Gastautor:

Dr. Thomas Schriefers ist der Messebranche als Experte für Weltausstellungen bekannt. Der Kölner Architekt, Kurator und Künstler erklärt in zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen die Architektur von EXPOs. Er hat eine Reihe von Büchern geschrieben, darunter „WELTAUSSTELLUNG(S)ARCHITEKTUR. „Geträumt, geplant, gebaut – abgerissen!“, das 2013 vom AUMA herausgegeben wurde. Im Expo-Jahr 2015 reiste Dr. Schriefers 17 Mal nach Mailand, um Besuchergruppen zu begleiten, darunter auch die Delegation des AUMA. Er war Mitglied der Jury, die in Mailand die Expo-Awards vergab. / Foto: © C. Rose/Akademie der Architektenkammer NRW gGmbH

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2 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen wirklich sehr interessanten Artikel von Herrn Dr. Schriefers – insbesondere auch für die tollen EXPO Fotos. Ich erinnere mich noch sehr gut an die EXPO 2000 in Hannover und würde mir wünschen, dass mal wieder eine Messe hier in Deutschland stattfinden würde.

  2. Auch wenn eine EXPO keine Messe ist, vielen Dank!

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