Nachhaltige Ausschreibungen: „Es könnte besser sein, aber aller Anfang ist schwer“

Kenner der Messebranche Thorsten Kollmeier fordert mehr Vorlauf einer Messeplanung, um Nachhaltigkeit ernsthaft anzugehen, gerade bei Beschaffung und Ausschreibung. Leider sei das nach der Pandemie weniger der Fall als zuvor, sagte er im AUMA-Webtalk #NachhaltigeMesse. Doch er sieht auch erste Zeichen von Verbesserung, berichtet er im Interview mit Steffen Schulze, Leiter Kommunikation und Marketing im AUMA.

Lieber Thorsten Kollmeier, an welcher Stelle ist es besonders hart oder anstrengend Nachhaltigkeitskriterien bei Beschaffungen und Ausschreibungen zu erfüllen? Wo wäre es hingegen besonders leicht?

Thorsten Kollmeier: Die Herausforderung ist Zeit! Messestandplanungen müssen insbesondere in Zeiten von Material- und Personal-Engpässen deutlich früher beginnen als vor Corona. Leider ist genau das Gegenteil der Fall. Um aber ressourcenschonend, nachhaltig und langfristig zu denken, müssen Messebauer deutlich früher in die Standplanung einbezogen werden.

Crade-to-Cradle und die Rückführung von Material in die Kreislaufwirtschaft ist für unsere Branche eine große Herausforderung. Bodenbeläge, wie zum Beispiel Teppiche, können noch nicht zurückgeführt werden. Bei Spanplatten sieht es etwas anders aus und entsprechende Anbieter drängen auf den Markt. Beim nachhaltigen Material wird es sukzessive besser, aber das breite Spektrum an Möglichkeiten, also die Varianz der Materialien, ist noch nicht vergleichbar zu herkömmlichen Materialien. Das hat sicherlich auch mit den zur Verfügung stehenden Rohstoffen zu tun.

Leicht für alle Beteiligten wäre langfristiges Denken! Wir versuchen, Aussteller, die das One-Hit-Wonder suchen, davon zu überzeugen, dass Langfristigkeit bei Messebeteiligungen eine tragende Rolle bei der Nachhaltigkeit spielt. Oft müssen wir gar nicht viel Überzeugungsarbeit leisten, denn der ökologische als auch ökonomische Mehrwert liegt auf der Hand.

Wie gut ist es derzeit um Nachhaltigkeitskriterien bei Ausschreibungen und Beschaffungen in der deutschen Messewirtschaft bestellt? Willst Du eine Schulnote vergeben?

Thorsten Kollmeier: Im Zweifel für den Angeklagten. Es könnte besser sein, aber aller Anfang ist schwer. Die meisten Aussteller, die bei uns anfragen, denken in langen Zyklen. Dieses Ziel beinhaltet eine langlebige Messestandplanung, was wiederum die Nachhaltigkeit impliziert. Diese Aussteller sind auch bereit für die Planung, für das Design und unsere äußerst detaillierten Leistungsverzeichnisse zu bezahlen. Sie denken und handeln wertschätzend.

WUM Brand Spaces beispielsweise ist ein grundsolides Unternehmen, das während Corona kaum Mitarbeiter verloren hat und nach Corona neue hinzugewinnen konnte. Das erkennen unsere Bestandskunden wie auch potenzielle Kunden an. Nachhaltigkeit wird durch unsere Kunden bereits vorausgesetzt. Grundsätzlich wird Nachhaltigkeit seitens der Unternehmen immer häufiger in Ausschreibungen berücksichtigt. Selbstverständlich gibt es Aussteller, die auf unsere Frage zu nachhaltiger Umsetzung antworten: „Dann machen Sie noch etwas Grün an die Wand oder begrünen Sie die Dachkonstruktion üppiger“. Andere Aussteller rufen die Renaissance von Ficus Benjaminii als auch des Farns aus, aber das Green-Washing wird seltener. Die Aussteller sind sensibilisierter als früher, aber beim Thema Nachhaltigkeit gibt es noch viel Luft nach oben.

In der AUMA-Publikation „Erfolgreiche Messebeteiligung“ findet man zum Stichwort Ausschreibungen unter anderem den Tipp von dir: „Beschränken Sie die Anzahl der Ausschreibungen wie auch die Zahl der teilnehmenden Messebauer auf ein Minimum.“ Kannst Du das etwas ausführen?

Thorsten Kollmeier: Kein Messebauer kann alles aus der eigenen Wertschöpfungskette liefern. Im Umkehrschluss heißt das, wir beschäftigen Mitarbeiter, die die Ausschreibung bearbeiten, bei anderen Dienstleistern Leistungen abfragen, um den besten Preis zu erzielen und so weiter. Am Ende hat der Aussteller von fünf oder mehr Messebauern Angebote und Designs vorliegen, deren objektive Auswertung gar nicht möglich ist, da jeder Anbieter im Vergleich zum anderen anders antwortet.

Warum gehen Aussteller so vor? Man muss eine Ausschreibung machen. Man will mal was Neues sehen. Man will den Marktpreis eruieren. Wegen dieser und vieler anderer Gründe beschäftigen ausschreibende Unternehmen zahllose Menschen, die jeweils ganz individuelle Ressourcen verbrauchen, um ein Angebot zu erstellen. Das sind menschliche Ressourcen, IT, Stromverbrauch etc.. Wenn ich jedoch gezielt und nach einem vordefinierten Auswahlprozess Messebauer anspreche, mich mit ihnen austausche, mein Briefing anpasse, aktualisiere und genau definiere, was ich will und auch was nicht, dann muss ich nicht mehr als drei bis vier Messebauunternehmen ansprechen. Aussteller können auf der Seite der Anbieter mit dieser Methode Ressourcen, Kosten und Aufwand senken – auch die eigenen Aufwände deutlich minimieren. Daher lieber gezielt, aber weniger Dienstleister ansprechen oder eine Agentur einbinden.

Wo sind – auch in anderen Branchen – die Leuchttürme bei nachhaltiger Beschaffung und Ausschreibungen? Wo sollte man sich inspirieren lassen?

Thorsten Kollmeier: Der Anteil dieser Leuchttürme wird mit Ausweitung der Berichtspflicht sicher zunehmen. Lass mich kurz definieren, was ein Leuchtturm ist: Das ist ein Vorbild, das aus intrinsischen Motiven heraus nachhaltig ist – ein Vorreiter und Vordenker. Mit dem Mut, auch mal was falsch zu machen.

Für mich ist das Unternehmen Vaude aus Bayern ein sehr gutes Beispiel. Die gehen, beginnend mit der Familie und der Unternehmensspitze, offen und transparent mit dem eigenen Business und auch dem Beschaffungsprozess um. Vaude arbeitet bereits seit Jahren nachhaltig, als das Thema Nachhaltigkeit noch kein Thema war und noch nicht mit vielfältigen Auszeichnungen honoriert wurde. Zum Beschaffungsprozess von Vaude gibt es einen interessanten Podcast.

Sieben Jahre vorausgeschaut: Was wird 2030 auf deutschen Messen nachhaltiger sein als heute?

Thorsten Kollmeier: Wir werden stringenter und systemorientierter auf Messen ausstellen – ergo materialsparender. Die Stände werden kleiner sein. Der Aufwand des Messestands wird sich reduzieren und um die digitale Messevor- sowie -nachbereitung erweitern. Die Größe, die Vielfalt als auch Leistungsfähigkeit wird sich über das ausgebildete Personal sowie über den Content, dessen Qualität und Aussagekraft ausdrücken und Besuchenden vermitteln. Das vis-à-vis wird bleiben. Aber vielleicht werden wir nachhaltiger anreisen. Durch digitale Kanäle wird die Live-Kommunikation mit Kunden und über Produkte digital erweitert sein. Die Messebeteiligung wird langlebiger und damit nachhaltiger.

 

Zur Person: Thorsten Kollmeier ist Leiter Neukundengewinnung beim Messebauunternehmen WUM Brand Spaces mit Sitz in Aschaffenburg und Köln. Er ist auch Autor des Nachhaltigkeitskapitels der AUMA-Publikation Erfolgreiche Messebeteiligung, die jetzt aktualisiert vorliegt. Mit 35 Berufsjahren im Messegeschäft ist Thorsten Kollmeier ein erfahrener Ansprechpartner rund um eine Messebeteiligung. Seine Managementerfahrung und Beratungskompetenz aus mehreren Jahrzehnten teils selbstständiger Tätigkeit bringt er in Schulungen, als Autor oder in Vorträgen auf Messen ein. Neben dem Thema Nachhaltigkeit gehört dazu auch das Thema Digitalisierung.

Zum Webtalk #NachhaltigeMesse: Die Messewirtschaft in Deutschland ist unterwegs zur Klimaneutralität. In lockerer Folge spricht Steffen Schulze, Leiter Kommunikation und Marketing im AUMA, mit den Spitzenläuferinnen und -läufern der Messebranche über ihren durchaus anstrengenden Weg zum großen Ziel Klimaneutralität. Mit der Gesprächsreihe zu den Meilensteinen und Einzeldisziplinen des langen Laufs begleitet der AUMA den Weg der Messebranche mit Gesprächen über Hindernisse, Herausforderungen und Erfolge.

Foto: privat / Montage AUMA

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