Kürzlich auf einer Verbandstagung: Der Gastreferent spricht über digitalen Darwinismus, der bisherige Geschäftsmodelle in Frage stelle. Er betont sehr eindringlich (und auch sehr zu Recht), dass Unternehmen die Relevanz von Social Media für Vertrieb, Marketing und PR nicht unterschätzen sollten. Viele Firmen glaubten nur, z.B. auf Facebook nicht präsent zu sein. Tatsächlich seien sie aber oft Gegenstand zahlreicher Diskussionen – meist eher nicht mit positivem Inhalt. Am Schluss verweist der Referent auf das vor einigen Jahren erschienene Cluetrain-Manifest, das zu der Erkenntnis kommt: Markets are conversations. Im Dialog liege die Zukunft des Marketing. Hmm. Sind nicht Marktplätze seit Jahrhunderten der Ort für Gespräch und Geschäft? Und gilt das nicht auch für Branchenmärkte, z.B. in Form von Messen? Manchmal sind neue Erkenntnisse doch nur Wiederentdeckungen. Und der digitale Darwinismus wird die Messen wohl noch ein wenig verschonen. (Foto: Pixelio/Margit Völtz)
3 Kommentare
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Christoph Hinte
Nicht ent oder weder, sondern sowohl als auch
Die darwinsche Evolutionstheorie geht ja im Kern davon aus, dass sich Organismen an veränderte Umwelt anpassen oder aussterben (zumindest in der Trivialversion). Nun was hat das mit Unternehmen der Gegenwart, mit Messen und mit Social Media zu tun? Wenn ich einen Deutungsversuch riskieren soll, würde ich folgendermaßen argumentieren. Virtuelle Kommunikation insbesondere in ihrer neuen Dimension der Social Networks hat sich wie eine neue und zusätzliche gasförmige Hülle um die Erdatmosphäre gelegt und somit die (kommunikative) Umwelt substanziell verändert. Um die für das Überleben notwendige Atmosphäre (in Form des persönlichen Dialogs) noch zu erreichen, müssen Organisationen (Unternehmen und auch Messen) diese neue „Ozonschicht“ durchdringen. Daher gelten die alten Mechanismen nach wie vor und sind somit eigentlich keine Wiederentdeckung. Es spricht doch viel dafür, das der Anpassungsprozess darin besteht, die neuen Kommunikationsformen in das Geschäftsmodell in geeigneter Form zu integrieren. So mancher Dino tut sich an dieser Stelle jedoch schwer und hat gute Chancen ausgestopft im Naturkundemuseum zu landen.
Oliver Schmitt
Einfach war früher
Ich kann dem Bild des Darwinismus durchaus etwas abgewinnen – vor allem im Sinne von „survival of the fittest“. Denn dass die Digitalisierung bestehende Marketing-Geschäftsmodelle unter Druck setzt, steht wohl außer Frage. Aus dem guten alten One-to-Many ist vielerorts ein One-to-One oder ein Many-to-Many geworden. Und vor allem werden mehr und mehr Einbahnstraßen zu lebendigen, multidirektionalen Plätzen. Da hat das Live-Marketing eine Menge zu bieten. In der Praxis beobachte ich mit großem Interesse vielfältige Initiativen der „Digitalen“ in Richtung live. Meist hat das jedoch wenig mit klassischen Messen und Ausstellungen zu tun, am wenigsten mit Großmessen. Hätte ich millionen- oder gar milliardenschwere Infrastrukturanlagen zu betreiben, mir stünden wohl zunehmend harte Zeiten bevor.
Anne Böhl
Messen brauchen keine Arterhaltung
Ich denke, dass die konsequente Anwendung des Darwinismus auf wirtschaftliche Prozesse zu einigen kuriosen Gedankenspielen führt: Der natürlichen Auslese – Grundpfeiler im Darwinismus – versuchen ja viele Tierschützer entgegenzuwirken, etwa bei der Erhaltung oder Nachzüchtung einiger aussterbender Tierarten, man denke da an den Panda, das europäische Wisent, die Galapagos-Schildkröte. Einige Arten kommen gar nicht mehr freilebend vor, sondern nur noch in Zoos. Ohne diese wichtigen Bemühungen diskreditieren zu wollen, können wir uns vorstellen, dass in die Erhaltung der Kommunikation per Fax irgendjemand einen Euro investieren würde? Kann es sein, dass in einigen Jahren Breitbandkabel durch Truppen aggressiver Retromanen zerstört werden, damit in den Büros die Internetkommunikation zusammenbricht und Büroangestellte wieder zum Telefon greifen oder gar eine Dienstreise buchen müssen? Wird es Rote Listen von Faxgeräten geben, deren Nutzer sich vierteljährlich treffen und Berichte über ihre Aktivitäten herausgeben? Wohl kaum. Heißt es doch in der Wirtschaft vor allem „Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen“. Daher wird es wohl auch kaum arterhaltende Maßnahmen für das Kommunikationsinstrument Messe geben, zumal sich Messen im Laufe der Zeit immer gut an die jeweiligen Bedingungen angepasst haben.