Felix Urban hat sich wissenschaftlich mit dem Thema Besuchermarketing auf Messen beschäftigt. Für seine Bachelorarbeit zum Thema „Modellentwicklung zur strategischen Gewinnung relevanter Besucherzielgruppen für Investitionsgütermessen“ erhielt er 2019 den deutschen Forschungspreis für Live Communication, der von der TU Chemnitz gemeinsam mit dem FAMAB vergeben wird. Jetzt hat er seine wissenschaftlichen Erkenntnisse im Diskussionspapier „Visitor Marketing Canvas“ für die Praxis aufbereitet.
Herr Urban, Sie haben sich in Ihrer Abschlussarbeit mit Besuchermarketing für Messen beschäftigt – was macht das Thema so interessant?
Felix Urban: Das Thema der Besuchergewinnung ist interessant, da sich die Messewelt, wie eigentlich jede andere Industrie auch, in einem starken Wandel durch globale Trends befindet. Durch eine immer straffer werdende Konkurrenzsituation außer- und innerhalb der Branche können sich Veranstalter heutzutage nicht mehr darauf verlassen, dass es genügt, eine Messehalle mit Aussteller-Quadratmetern zu füllen.
Durch meine Abschlussarbeit habe ich versucht darzustellen, warum eine besucherseitige Aufplanung der Veranstaltung sinnvoll ist und wie diese, natürlich im Einklang mit den anderen Stakeholdern, umgesetzt werden kann. Ein erfolgreiches Besucherkonzept stellt meiner Meinung nach im Henne-Ei-Konstrukt der Etablierung neuer Messen den entscheidenden Erfolgsfaktor dar, da somit auch dem Aussteller eine wesentliche Value Proposition vorgelegt werden kann. Dieses Umdenken kann hoffentlich auch bewirken, dass wir uns zunehmend vom Geschäftsmodell Fläche verabschieden und das Geschäftsmodell Inhalt im analogen und digitalen Ansatz stärker berücksichtigen. Besuchermarketing ist also deshalb so interessant, da es als Anker für ein grundlegendes Umdenken stehen kann und auf einmal ganz andere Bestandteile wichtig sind, als dies bei einer reinen Ausstellerbetrachtung der Fall ist.
Ist ein wissenschaftlicher Ansatz wie der Ihre für das praktische Messegeschäft überhaupt anwendbar?
Felix Urban: Wie auch in anderen Branchen ist wissenschaftliches Arbeiten und dessen theoretische Handreichungen für die Praxis von hoher Bedeutung, da gerade für die übergeordneten strategischen Entscheidungen Zusammenhänge und Verhaltensmuster ermittelt, erkannt sowie richtig interpretiert werden müssen. Der Grundsatz lautet hier: „Wissenschaft benötigt ihren Gegenstand, Praxis benötigt Erkenntnis.“ Die Herausforderung ist nun, auch tatsächlich die richtigen Schlüsse aus der Theorie zu ziehen. Im Anschluss an meine Bachelorarbeit wurde ich häufig von einzelnen Projektteams gefragt, was denn nun für sie dabei herauskäme. Diese Frage konnte ich womöglich nicht besonders häufig zur vollen Zufriedenheit des Fragenden beantworten, da ich dazu die jeweiligen Gegebenheiten zu wenig kannte. Da das Lesen von 90 Seiten Bachelorarbeit aber auch nicht unbedingt der goldene Weg gewesen wäre, habe ich durch das Visitor Marketing Canvas versucht, meine Botschaften in eine praxisorientierte Form zu gießen. Für tiefere Informationen zu den Feldern ist der Blick in die Bachelorarbeit wohl dennoch zu empfehlen. Um die Frage zu beantworten: ja ist es, aber die Adaption an die individuellen Gegebenheiten muss natürlich vom Anwender richtig vollzogen werden. Das ist nicht leicht und dieser Prozess kann auch wehtun.
Was kann Ihr neuer Ansatz jetzt in dieser besonderen Zeit der Coronakrise für Messen leisten?
Felix Urban: Im Allgemeinen wünsche ich mir natürlich, dass der Besucher in den Messegesellschaften ein besseres Standing erhält und in der strategischen Planung sowie der operativen Umsetzung deutlich stärker berücksichtigt wird. Da bin ich nicht der Erste, der das fordert, aber ich bin ein Fan davon, das häufiger mal wieder in die Diskussion einzuwerfen, da dieses Umdenken nicht der Weg des geringsten Widerstandes ist und einen Schritt aus der vielzitierten Comfort-Zone erfordert, wo auch immer die gerade liegen mag. In meinem Papier gibt es einige kritische Stellen was die Messewirtschaft betrifft und die sind auch bewusst so gewählt – das ist nicht als pauschales Meckern zu verstehen, sondern so, dass jeder, der sich angesprochen fühlt, über die Nutzung des Canvas nachdenken sollte. Die Zeiten ohne physische Messen und das reine Hinarbeiten auf den Tag X, an dem wieder alles so wird wie ‚vorher‘, ist meiner Meinung nach nicht sinnvoll. Wir sollten erkennen, dass es Schwächen und Probleme gab und wir gerade im Bereich der Digitalisierung diverse Chancen ungenutzt gelassen haben – auch das ist nicht als pauschale Kritik zu verstehen, jeder sollte sich selbst hinterfragen. Das Canvas soll dazu dienen, dass die Anwender die derzeitige Unterbrechung dazu unter dem Motto ‚Come back stronger‘ nutzen und ihre bisherigen eventuell auch schon sehr eingefahrenen Prozesse neu denken. Ich wünsche mir vor allem, dass wir die Stärken und Schwächen sowohl digitaler, als auch physischer Formate aufarbeiten und hybride und integrierende Lösungen finden. Viel Spaß beim Lesen und ich freue mich auf die Diskussion!
Felix Urban hat sich in seiner Bachelorarbeit mit den besonderen Anforderungen an das Besuchermarketing für Investitionsgütermessen beschäftigt und am Beispiel der Hannover Messe ein reifegradbasiertes Prozessmodell zur Besuchergewinnung entwickelt. Die Arbeit wurde vom AUMA als Dokumentation 12 veröffentlicht.
Das darauf aufbauende Diskussionspapier „Visitor Marketing Canvas“ mit Handreichungen zur praktischen Umsetzung kann hier heruntergeladen werden.