Wird die Digitalisierung die Messe- und Veranstaltungswirtschaft dazu zwingen, Dramaturgie und Inszenierung neu zu denken? Zu dieser Frage diskutierten am 7. Juni 2016 Experten aus der Messe- und Veranstaltungswirtschaft im Rahmen der MEXCON Meeting Experts Conference in Berlin. Gastgeber des FachForums zum Thema „Dramaturgie und Inszenierung in der Zukunft der Messe- und Veranstaltungswirtschaft“ waren der AUMA und der FAMAB Kommunikationsverband.
Auf dem Podium saßen Marc Preiser, Freier Szenenbildner, Berlin, Heike Schaffernicht, MIKS GmbH, Hamburg, Gabriela Dannenberg, Managing The Chaos, Berlin (Moderation), Stefan Rössle, Kontrapunkt, Hamburg, Annette Beyer, treibhaus 0.8, Berlin und Prof. Dr. Ulrich Wünsch, Rektor Hochschule der populären Künste, Berlin (v.l.n.r.).
Rund 100 Interessenten verfolgten die lebhafte Debatte, aus der sich viele Wortmeldungen und Diskussionsbeiträge aus dem Plenum ergaben. Auch die Ausbildung des Branchennachwuchses im Hinblick auf neue Anforderungen war ein Thema, das offenbar viele Teilnehmer bewegte.
Themen aus der Diskussion um Inszenierung auf Messen und Veranstaltungen
Wie sieht eigentlich die Messe der Zukunft aus?
Je digitaler die Welt, desto analoger die Messe? Eine Messe ist eine Begegnungsstätte, deshalb ist die Atmosphäre in den Messehallen so wichtig. Messe sei traditionell eher Konkurrenz als Dialog, so ein Teilnehmer, ein Miteinander finde in Messehallen architektonisch bisher keine Entsprechung. Es könne ein interessanter Ansatz sein, eine qualitative Stadtplanung in Messehallen anzuwenden: Die Messe als Stadt oder Dorfgemeinschaft.
Was bedeutet Produktinszenierung auf Messen im digitalen Zeitalter?
Viele Produkte transportieren erfahrungsgemäß Geschichten. Wenn aber ein Produkt nur noch digitale Features bietet, ist das physische Exponat auf einer Messe vielleicht alles andere als spektakulär. Deshalb werde Inszenierung immer wichtiger, Emotionalisierung allein reiche nicht aus, so eine Teilnehmerin.
Inszenierungen sind zur Erhaltung eines Spannungsbogens wichtig. Auf vielen Messen, die bisher nicht für teure und besonders beeindruckende Inszenierungen bekannt sind, tun sich für Kreativagenturen noch viele Möglichkeiten auf, so die Meinung einiger Podiumsteilnehmer.
Aussteller orientieren sich immer noch oft am Wettbewerber und deren Messeauftritt. Aufwändige digitale Angebote am Messestand überfordern Besucher häufig, werden aber vom Aussteller oft trotzdem gewünscht, um mit der Konkurrenz gleichzuziehen. Eine These aus der Diskussion: Ein Bauchladen an Touchscreens etc. sei keine Digitalisierung 4.0, sondern ein Klischee. Der Austauschbarkeit auf Messen müsse entgegengewirkt werden.
Oft werde für eine Messeinszenierung eine einfache kreative Lösung gewählt, um das Standpersonal nicht zu überfordern. Die Gestaltung folge außerdem sehr oft den Anforderungen technischer Tools, die auf dem Stand eingesetzt werden, statt einer übergreifenden Idee.
Vielleicht brauchen Messeinszenierungen eine digitale Detox-Bewegung?
Digitale Angebote bieten oft nur eine Parallelwelt zum Event. Digitale Kommunikation auf Messen brauche als Inhalt zwingend die zwischenmenschliche Kommunikation, aber eher weniger Medien, weniger Content am Stand, lautete eine Meinung. Consumer-Messen könnten zwar heute nicht mehr ohne parallele digitale Angebote stattfinden, Fachbesuchermessen dagegen schon. Messe habe die Kernkompetenz Mensch-zu-Mensch und sollte diese Stärke weiter entwickeln.
Wie kann ein Messeauftritt durch Inszenierung auf einen Kern reduziert werden, damit es keine Ablenkung gibt? Messerfolg hänge von direkter Begegnung mit den Kunden ab. Gerade auf Messen werde deutlich, welche Menschen hinter einem Produkt stehen, waren sich die Podiumsteilnehmer einig.
Wie wird dem Standpersonal vermittelt, wie eine Inszenierung umzusetzen ist?
Gutes Messepersonal hänge von Wertschätzung, Ausbildung und guter Bezahlung ab, betonte ein Teilnehmer. Eine Anregung aus der Diskussion: Es sollte in den Unternehmen Kommunikationstrainings und Partizipationsmöglichkeiten bei der Messeplanung geben, um die Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, Besuchern auf Messen auf Augenhöhe zu begegnen. Vielleicht könnte das eine Dienstleistung sein, die Agenturen in Zukunft zur Inszenierung mitliefern.
Der Nachwuchs ist der Schlüssel zur Zukunft der Messewirtschaft. Was sind die Anforderungen an die Berufsbilder?
Reine Messemanager und auch Marketingmanager in Unternehmen seien heute überholt, so eine Meinung aus dem Publikum. Interne Strukturen könnten in Unternehmen Innovationen und Kommunikation so behindern, dass Messeagenturen mit ihrer Beratung keine Chance hätten. Oft gebe es zwischen Vertrieb und Marketing in den Unternehmen ein Abstimmungsproblem, so dass das Briefing für die Messeagentur nicht schlüssig sei.
Agenturpersonal braucht heute ein Querschnittsverständnis zwischen Kreativleistung und Umsetzung. Kreative in der Veranstaltungsbranche müssen in Zukunft Kommunikationsexperten sein, um präzise inszenieren zu können. Veranstaltungskaufleute setzten dann eher operativ die Inszenierung um, so ein Vorschlag vom Podium.
Ein Feld, das auf Messen an Bedeutung gewinnt, ist die Wissenschaftskommunikation. Es gibt in den Curricula der betreffenden Studiengänge aber kaum Ansätze, wie Messen und Veranstaltungen dafür genutzt werden können.
Fähigkeiten zur digitalen Kommunikation seien beim Nachwuchs ausreichend vorhanden, aber persönliche Kommunikation, wie das Telefonieren oder ein fachliches Gespräch, müsse oft erst erlernt werden, so eine Meinung aus dem Publikum.
Ausblick: Wie geht es weiter mit Inszenierung und Dramaturgie auf Messen und Events?
Inszenierung sollte nicht gegen Trends arbeiten, sondern diese nutzen. Digitalisierung ist ein Fakt, aber sie muss nicht zwanghaft vorangetrieben werden. Menschen wollen ihr Messeerlebnis ins Digitale fortsetzen: Ein Erlebnis ist heute nur positiv, wenn es ein gutes Foto für die sozialen Netzwerke davon gibt.
Digitales muss in die Inszenierung von Events und Messen einfließen, um eine nachhaltige Zielgruppenansprache zu erreichen. Bei Publikumsmessen stellt sich außerdem die Frage nach der Generationenansprache, alle Kanäle müssen entsprechend der Zielgruppenstruktur genutzt werden.
Deutlich wurden in der Diskussion Wünsche an Agenturen: Interne Kommunikationsstrukturen in Unternehmen sollten auf den Weg gebracht, nicht nur vorausgesetzt werden. Crossmediales Erzählen sei Aufgabe der Konzeptioner: auch PR und Social Media müssen mitgedacht werden. Es gehe darum, beim Geschichtenerzählen verschiedene Kanäle einzubinden, das heiße aber nicht, Events einfach digital „aufzuhübschen“.
Fazit: Es wird sich alles und nichts ändern
Ein Teilnehmer auf dem Podium fasste zusammen: Menschliches Handeln sei davon getrieben, Sinn zu schaffen. Inszenierung und Dramaturgie sollten diesen weiterentwickeln. Die großen Themen für Inszenierungen seien nach wie vor Liebe, Hass, Tod, Familie und soziale Interaktionen. Als dramaturgischer Bezugspunkt am wichtigsten sei der Markenkern des Unternehmens.
Den Zwang zur Inszenierung werde es irgendwann nicht mehr geben, so eine Teilnehmerin der Runde. In der Wohlstandsgesellschaft gehe es oft um „Immer mehr“ und „Viel hilft viel“ – die Zukunft werde zeigen, dass Inszenierungen minimalistischer werden. Außerdem sei sicher davon auszugehen, dass die Jugend die Kunst des persönlichen Gesprächs erlernen werde.
Foto: FAMAB