Barrierefreiheit und Messen – ein Zukunftsthema

Die Eventberaterin Kerstin Hoffmann-Wagner und die Sachverständige für Barrierefreies Bauen Gudrun Jostes beraten seit 2015 zu barrierefreien Events und Messen. Mit Vorträgen und Weiterbildungsangeboten zu Inklusion und Barrierefreiheit bieten sie Veranstaltenden, Eventplanenden und Locationbetreibern Informationen und Impulse. Vor kurzem haben sie ein Praxisbuch „Barrierefreie Events“ veröffentlicht. 

Frau Hoffmann-Wagner, Frau Jostes, welche Rolle spielt Barrierefreiheit auf Messen?

Jostes: Barrierefreiheit ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Inklusion gelingen kann.
Was bedeutet das konkret? Erst wenn möglichst alle Menschen am Messegeschehen teilnehmen können, wird Inklusion möglich. Die Voraussetzung dafür ist die barrierefreie Zugänglichkeit der gesamten Messelocation und die barrierefreie Gestaltung der Infrastruktur wie z.B. WC-Anlagen. Ein barrierefreies Design kann auch Teil einer individuellen Messestandkonzeption sein. Dies vereinfacht die Information zu den präsentierten Produkten und fördert die Kommunikation mit der Stand-Crew – nicht nur für Besucher*innen mit Einschränkungen der Mobilität oder der Sinne.

Die fachliche Ausrichtung von Messen spricht mit einem vielfältigen Angebot bestimmte Zielgruppen an. Barrierefreiheit nimmt die Bedürfnisse der Menschen auf und setzt sie in konkrete Maßnahmen um. Dies betrifft den baulichen, technischen, aber auch konzeptionellen Bereich. Das ist die Basis dafür, dass sich alle am Messegeschehen Beteiligten für alle Interessierten öffnen.

Hoffmann-Wagner: Dabei ist Barrierefreiheit mitnichten ein Nischenthema. Sie ist für einen
bestimmten Teil der Zielgruppe essentiell, um überhaupt an Messen teilhaben zu können. Für
alle anderen Beteiligten, ganz gleich ob Besucher*innen, Beschäftigte im konzeptionellen oder im
Bereich Messebau und Technik, ist sie ein enormer Gewinn an Komfort.

Welche Erfahrungen machen Sie jetzt während der Pandemie mit diesem Thema?

Jostes: Natürlich sind in dieser Zeit der Corona-Pandemie nahezu alle physischen Messe- und Eventformate abgesagt oder langfristig verschoben worden. Wo es möglich war, sind Veranstalter auf digitale Formate umgestiegen: Online-Events oder auch virtuelle Messen.
Wichtige Kriterien für mögliche Barrieren, nämlich die Location und die Anreise, sind somit weggefallen und viele Menschen dachten, Messen und Events im digitalen Raum sind per se barrierefrei.

Hoffmann-Wagner: Dass dem nicht so ist, ist tatsächlich schnell aufgefallen. Wir sprechen hier
zum Beispiel von der Bedienbarkeit der eingesetzten Online-Tools. Diese sollten sowohl von
Menschen genutzt werden können, die wenig Erfahrungen in der Nutzung solcher Tools haben,
aber auch von Menschen, die eine Sehbehinderung haben und sich auf Screenreader und
Tastatursteuerung verlassen.

Neben den technischen Aspekten der Barrierefreiheit ist aber auch vielen Teilnehmenden von virtuellen Messe- und Eventangeboten schnell aufgefallen, dass vermeintliche Fehler seitens der Veranstaltenden oder Speaker viel schneller und deutlicher auffallen. Sei es die schlechte Ausleuchtung eines Speakers und somit Probleme bei der Erkennbarkeit, unruhig gemusterte oder zu bunte Kleidung und Hintergründe, schlechte Tonqualität – all das kann schnell zu Unzufriedenheit bei den Teilnehmenden und zum frühzeitigen Verlassen der Online-Veranstaltung führen.

Wir waren tatsächlich selbst überrascht, dass es der digitale Raum ist, der vielen Menschen das Thema Barrierefreiheit auf schnellem und direktem Weg nahebringt. Als die Pandemie begann, waren wir kurz davor, unser gemeinsames Buch „Barrierefreie Events“ zu veröffentlichen. Da Themen wie Hygienevorschriften, Reduzierung der Teilnehmendenzahl, aber auch der Hype auf digitale Formate auf Messe- und Eventveranstaltende in Lichtgeschwindigkeit zukamen, haben auch wir uns dazu entschieden, zum einen die neuen Anforderungen zum Beispiel an Konzept und Location einzugehen, aber auch ein zusätzliches Kapitel zu Barrierefreiheit für Online-Events zu schreiben. Wie sich immer wieder durch den hohen Bedarf an Informationen gezeigt hat, eine gute Entscheidung.

Wie wichtig sind zukünftig Barrierefreiheit und Inklusion auf Messen?

Jostes: Künftig werden die Bedürfnisse der Menschen, die Messen besuchen möchten, für Veranstaltende, aber auch für ausstellende Unternehmen viel stärker im Vordergrund stehen als bisher. Glücklicherweise hat die Corona-Pandemie das Bewusstsein für Nachhaltigkeit, aber auch für Inklusion und Diversität bei Messen stärker in den Vordergrund gerückt.

Hoffmann-Wagner: Es geht darum, wieder Vertrauen bei den Menschen zu schaffen, die Messen besuchen, sich durch gute Hygienekonzepte sicher durch die Hallen bewegen zu können.
Aber es geht vor allem auch um zukunftsgerichtete Messekonzepte. Es geht letztlich darum, sich als Anbieter*in von Messestandorten, als Messeveranstaltende und als ausstellendes Unternehmen jetzt fit zu machen für die neuen Wettbewerbsanforderungen. Und diese heißen eben nachhaltige Messekonzepte, aber auch nachhaltige Standgestaltung genauso wie die inklusive Ausrichtung von Messen, die barrierefreie Gestaltung von Messeständen oder die Berücksichtigung von Diversität beispielsweise bei begleitenden Messeveranstaltungen.

Jostes: Wir gehen davon aus, dass künftig mehr potentielle Besucher*innen mit Beeinträchtigungen viel stärker von ihrem Recht Gebrauch machen werden, an Messen teilzuhaben. Und dann sollte es nicht passieren, dass zwar der Zugang zum Messegelände möglich ist, der Besuch am Messestand aber dann letztlich an fehlenden Rampen oder unzureichenden Bewegungsflächen scheitert.

Hoffmann-Wagner: Wer künftig wettbewerbsfähig bleiben möchte, muss als Messeveranstaltende, als Locationanbietende und als ausstellendes Unternehmen nachhaltig, inklusiv und divers denken, planen und handeln. Messen werden künftig ganzheitlich gedacht: Keine digitalen Formate ohne Inklusion, keine Nachhaltigkeit ohne Inklusion und keine Diversität ohne Inklusion.

Was sind Ihre Tipps für eine weitere Auseinandersetzung mit diesem Thema?

Jostes: Der wichtigste Tipp: Anfangen. Oftmals hindern uns fehlende Informationen oder Missverständnisse daran, uns mit neuen Themen zu beschäftigen. Um Fehler zu vermeiden, werden wir gar nicht aktiv.

Hofmann-Wagner: Dabei ist der Weg denkbar einfach:

  • Nutzen Sie gerade die jetzige Zeit, in der die Messehallen noch leer sind, um barrierefreie Anpassungen im technischen und baulichen Bereich umzusetzen.
  • Investieren Sie jetzt in die Weiterbildung Ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Bezug auf Barrierefreiheit.
  • Stellen Sie bisherige Messe- und Standkonzepte bezüglich Barrierefreiheit auf den Prüfstand: Was war gut, was kann für das nächste Mal verbessert werden? Lassen Sie sich dabei, wenn nötig, von Expert*innen beraten.
  • Entwickeln Sie für Ihre Messeaktivitäten eigene Standards in Bezug auf inklusive Konzepte: Es gibt kein „vielleicht“ oder „mal schauen“ mehr, sondern ein klares Bekenntnis, die eigenen Messen und Messestände für alle interessierten Besucher und Besucherinnen – letztlich neuer Kundschaft – zu öffnen.

 

Kerstin Hoffmann-Wagner, Eventberaterin und zertifiz. Trainerin und Gudrun Jostes, Dipl.-Ing., zertifiz. Fachplanerin u. Sachverständige für Barrierefreies Bauen. Kontakt: www.events-barrierefrei.de

Buchveröffentlichung:
Kerstin Hoffmann-Wagner / Gudrun Jostes: Barrierefreie Events. Grundlagen und praktische Tipps zur Planung und Durchführung. SpringerGabler, 2021

Foto: events-barrierefrei.de

 

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