Warum bekommen die ganzen schönen Messen immer so seltsame Namen? Das hat sich auch die Namensforscherin Dr. Kathrin Dräger gefragt. Ergebnis ist eine erste Systematik zur Struktur von Messetiteln, ohne auf die geschichtliche Entwicklung der Titel einzelner Messen einzugehen. Wussten Sie, dass Messenamen, die auf -a/-A enden wie die seit 92 Jahren bestehende IFA, kaum noch vergeben werden? Wenn nicht, freuen Sie sich mit uns, denn wir haben den wissenschaftlichen Artikel der Linguistin vorab und exklusiv veröffentlicht.
Dr. Kathrin Dräger, Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz:
„Willkommen auf der Absurda. Deutschland ist Messeweltmeister – hurra und so, aber mal unter uns: Warum bekommen die ganzen schönen Messen immer so seltsame Namen?“ So ist ein Artikel von Marc Baumann aus dem „Süddeutsche Zeitung Magazin“ überschrieben (Heft 49/2011, S. 43), der mich zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Messenamen inspirierte. Der Magazinbeitrag soll in erster Linie unterhalten und erhebt natürlich keinerlei wissenschaftlichen Anspruch. Aber bei der Lektüre der im Artikel genannten Beispiele fällt auf, dass diese Namen einige markante Gemeinsamkeiten aufweisen: Forscha, Chillventa, Hippologica usw. enden auf -a; Interforst, Interschutz, InterWhisky usw. beginnen mit Inter-, und unterschiedliche Arten von Abkürzungen wie AnJa, Stuzubi, InNaTex usw. scheinen beliebt zu sein. Dabei unterschlägt der Artikel aber Teile der Namen: Die Materialica nannte sich im Jahr 2014 korrekt: MATERIALICA – Lightweight Design for New Mobility. Und die IFAT Entsorga hieß 2012 vollständig: IFAT ENTSORGA – Weltleitmesse für Wasser-, Abwasser-, Abfall- und Rohstoffwirtschaft und wurde anschließend umbenannt in IFAT – resources.innovations.solutions. – Weltleitmesse für Wasser-, Abwasser-, Abfall- & Rohstoffwirtschaft. Durch diese mehrteilige, sehr vielfältige Struktur und den raschen Wandel, dem sie unterworfen sind, stellen Messenamen einen komplexen Untersuchungsgegenstand dar, der bisher kaum wissenschaftlich betrachtet wurde.
Das Folgende beruht auf einem gleichnamigen wissenschaftlichen Aufsatz, der demnächst im Sammelband „Sonstige“ Namenarten – Stiefkinder der Onomastik (herausgegeben von Rita Heuser und Mirjam Schmuck) erscheint. Die Untersuchung basiert auf den Messetiteln, die mir der AUMA dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat. Aus Vergleichbarkeitsgründen werden nur internationale und nationale Fachmessen berücksichtigt, also keine Verbrauchermessen oder regionale Veranstaltungen, und zwar in drei zeitlichen Schnitten: 1964-67, 1989-94 und 2011-14.
Messenamen bestehen heute meist aus einem Titel und einem Untertitel
Messenamen unterscheiden sich von den meisten anderen Namenarten dadurch, dass sie heute meist zweiteilig sind und aus einem Titel und einem Untertitel bestehen. Im Untersuchungszeitraum 2011-14 waren dies 305 von 327 verschiedenen Namen, also 93%. 1989-94 waren es geringfügig weniger, nämlich 92%, 141 von 153 Messen. Aber 1964-67 stellten zweiteilige Namen noch die Minderheit mit 28 von 61 Messen, also 46%. Der zweite Teil ist zuweilen weiter unterteilt, z.B. A + A – Persönlicher Schutz, betriebliche Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit – Internationale Fachmesse mit Kongress. Die in den letzten beiden Untersuchungszeiträumen seltenen einteiligen Namen entfallen v.a. auf Messen mit langer Tradition wie die Frankfurter Buchmesse oder die IAA Nutzfahrzeuge, die so gut am Markt positioniert sind, dass eine genaue Beschreibung überflüssig erscheint. Darüber hinaus handelt es sich um Messen, die am gleichen Ort parallel zu anderen stattfinden (z.B. Deutsche Golfplatztage und PLAYGROUND in Verbindung mit GaLaBau – Internationale Fachmesse Urbanes Grün und Freiräume; Anm. der Red.: seit 2016 lautet der Titel GaLaBau – gardening. landscaping. greendesign), die sich im Kontext mit Anderen positionieren.
In der Titelkurzform tauchen zunehmend Kunstwörter auf: GiveADays, conhIT, econstra
Betrachtet man die Struktur der Messenamen genauer, kann man folgende Bildungsweisen unterscheiden: erstens eine Kurzform, die im Untertitel aufgelöst wird, wie bei IDS – Internationale Dentalschau, und zweitens eine Kurzform, die im Untertitel nicht aufgelöst wird, wie z.B. GaLaBau – Internationale Fachmesse Urbanes Grün und Freiräume/Planen – Bauen – Pflegen. Die dritte Kategorie umfasst einzelne Wörter, die den zentralen Gegenstand der Messe bezeichnen. Darunter fallen auch fremdsprachliche Namenteile wie bei BEAUTY DÜSSELDORF – Internationale Leitmesse Kosmetik, Nail, Fuß, Wellness, Spa. Die vierte Kategorie besteht aus Kunstwörtern, die Elemente der ersten drei Kategorien enthalten. Beispiele sind econstra – Fachmesse für Ingenieurbau, Architektur und Bauwerkserhaltung, einer Zusammenfügung aus eco für ecology oder economy und constr– für construction sowie der typischen Messenamen-Endung -a (siehe unten), oder das Wortspiel GiveADays – Internationale Fachmesse für Werbeartikel. Alle diese vier Arten können um Zusätze wie international, dem Messeort oder Ähnliches erweitert sein.
1989-94 entfielen 28% aller Titel auf Kategorie 1, 10% auf Kategorie 2, 33% auf Kategorie 3 und 29% auf Kategorie 4. Im Vergleich zum nachfolgenden Untersuchungszeitraum 2011-14 ergaben sich v.a. bei den Kategorien 1 und 2 Veränderungen. Kategorie 1 ist nun mit 13% wesentlich seltener geworden, statt dessen hat Kategorie 2 seinen Anteil auf 20% verdoppelt; auf die Kategorien 3 und 4 entfallen 34 bzw. 33%.
Der Untertitel: Meist Mischung aus Messeangebot und Werbeslogan
Bei den Untertiteln lassen sich folgende Arten unterscheiden: erstens die Auflösung einer im Titel genannten Abkürzung wie beim oben genannten Beispiel Internationale Dental-Schau; zweitens eine teilweise sehr detailierte Beschreibung dessen, was auf der Messe zu sehen ist, z.B. INTER BRUSH – Die weltweit führende Fachmesse für Maschinen, Material und Zubehör der Bürsten-, Pinsel-, Farbroller- und Mopindustrie. Die dritte Kategorie bilden Werbeslogans wie bei transport logistic – THE LEADING EXHIBITION. Die Kategorien 2 und 3 gehen oft ineinander über. Zudem treten alle drei Kategorien teilweise auch in Kombination auf, v.a. bei mehrteiligen Untertiteln wie bei EPF – EstrichParkettFliese – Fachmesse Fußbodenbau oder bei der bereits erwähnten IFAT – resources.innovations.solutions. – Weltleitmesse für Wasser-, Abwasser-, Abfall- & Rohstoffwirtschaft.
Die Entwicklung 2011-14 und auch der Vergleich mit den Daten von 1989-94 zeigen, dass Änderungen am Messenamen v.a. den Untertitel betreffen. Diese sind häufig Ausdruck eines sich wandelnden Geschäftsfeldes wie bei der econstra – Fachmesse für Ingenieurbau und Bauwerksinstandsetzung, die 2014 econstra – Fachmesse für Ingenieurbau, Architektur und Bauwerkserhaltung hieß, also die Architektur in den Untertitel aufnahm und nun von Bauwerkserhaltung statt -instandsetzung spricht (Anm. d. R. Messe wird jedoch nicht fortgesetzt). Oder die Werbeaussage wird als unpassend empfunden wie bei EuroShop – The World’s Leading Retail Trade Fair (2014), die 2012 bescheidener EuroShop – The Global Retail Trade Fair hieß. Selten ändert sich der Titel, und wenn, dann sind es eher Anpassungen in der Schreibung wie bei boot-Düsseldorf – Internationale Bootsausstellung (2011) versus boot Düsseldorf – Internationale Bootsausstellung (2014), also mit und ohne Bindestrich. Durch seine beschreibende und werbende Funktion ist der Untertitel teils extrem lang und komplex, während beim Titel eine Tendenz zur Kürze besteht – bis hin zu Minimaltiteln wie K – Internationale Messe Nr.1 für Kunststoff und Kautschuk weltweit.
Messenamen, die auf -a/-A enden
Eine gründliche sprachwissenschaftliche Analyse der einzelnen Messenamenbestandteile steht noch aus. Doch eine erste Tiefenbohrung zeigt das Potential solcher Analysen: Unter den Messetiteln gibt es ganz exklusive Namentypen, z.B. diejenigen auf -expo (< englisch oder französisch exposition ‘Ausstellung’), wie Blechexpo. Hervorstechend sind aber die Titel auf -a/-A. Entstanden sind sie aus Messetiteln mit dem Wort Ausstellung als letztem Bestandteil, abgekürzt mit a/A, beispielsweise ANUGA < Allgemeine Nahrungs- und Genußmittel-Ausstellung, IFFA < Internationale Fleischerei-Fachausstellung (beide 1965) usw. Diese Endung -a (in Verbindung mit dem Artikel die) wurde derart charakteristisch für Messe- und Ausstellungsnamen, dass sie sich verselbstständigt hat und zu einem Alleinstellungsmerkmal geworden ist. So konnte der Autor seinen eingangs erwähnten Magazin-Artikel mit „Willkommen auf der Absurda“ betiteln und dabei davon ausgehen, dass die Leser wissen, dass es sich um Messenamen handelt. Allerdings ist der Anteil der Messetitel auf -a rückläufig: 1964-67 tritt dieser Bestandteil bei über 60% aller Messenamen mit Kürzung auf (gerechnet auf alle Messenamen bei 23%), im Zeitraum 1989-94 sind es 29% aller Titel, 2011-14 nur noch 15%.
Über die Gastautorin
Die Namensforscherin Dr. Kathrin Dräger hat von 1999 bis 2006 Sprachwissenschaft des Deutschen, Neuere und Neueste Geschichte sowie Wissenschaftliche Politik an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau studiert. 2012 promovierte sie zum Thema „Familiennamen aus dem Rufnamen Nikolaus in Deutschland“. Von 2005 bis 2014 arbeitete sie im Projekt „Deutscher Familiennamenatlas (DFA)“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Seit Februar 2015 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts „Digitales Familiennamenwörterbuch Deutschlands“ an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz.